Der Wald-Wild-Konflikt
Der Wald-Wild-Konflikt hat seine Ursache im forstwirtschaftlichen und ökologischen Schaden, den Schalenwild als Pflanzenfresser Bäumen und anderen Pflanzen des Waldes zufügt. Durch Verbeißen, Schälen oder Fegen können Schäden entstehen, die den Holzwert mindern oder eine Waldpflanzengesellschaft verarmen lassen. Die Diskussion um zu hohe Schalenwildbestände wie Rehe, Rothirsche oder Damhirsche wird insbesondere von Waldbesitzern geführt. Ziel ihrer Angriffe sind die Jäger, welche das Jagen als Freizeitbeschäftigung in und mit der Natur verstehen und eher ein Mehr an Wild im Wald wünschen. Die Diskussion führt man vorrangig in den eigenen Interessenskreisen und kreist dabei lieber in sich selbst als das Gespräch mit den anderen zu suchen.

Übersehen wird dabei, dass das Wild als Pflanzenfresser Verbeißen, Fegen und z.T. Schälen als natürliche Lebensäußerungen zeigt und es also ein natürliches Maß an Schaden gibt. Überlagert wird die Diskussion durch das historische Erbe dominanter Jagdausübung in der Feudalzeit und eine eher nachteilige Auswirkung der Abschussplanungen durch die Jagdgesetze der 20iger und 30iger Jahre. Welche biologische Einsicht fehlt nun aber den Menschen in diesem Konflikt:
Die Langfristigkeit der Wirkmechanismen im Wald bildet Ungleichgewichte von Wald und Wild noch nach 200 Jahren ab. Jäger werden zudem nie die Wirksamkeit des evolutionsbestimmten Raubwildes erreichen, das sich mit der eigenen Populationsentwicklung dem Schalenwild als Ernährungsangebot anpasst und gleichzeitig durch Selektion den Fortbestand von Reh und Hirsch sichert. Dieser Teil des struggle for existence hat letztlich mit zur Ausgestaltung der natürlichen ( geringer Einfluss des Menschen ) Waldgesellschaften geführt. Die Vorstellung, Jäger könnten die nicht mehr vorkommenden großen Raubwildarten wie Bär, Luchs oder Wolf ersetzen, wird sich also nur zum Teil erfüllen lassen. Letzterer Gedanke wird dann zur Farce, wenn die Jagd nur der Erlegung von Trophäen gewidmet ist.
Die menschliche Kultur hat die Lebensräume des Wildes durch Besiedlung, trennende Verkehrswege und Ausgestaltung einer nutzbaren Natur so wesentlich verändert und verkleinert, dass die Nahrungsaufnahme der Waldtiere gestört ist. Der Waldbesitzer wird den Wald für sich nicht nur als Einnahmequelle sehen dürfen, er hat einen Teil dieser Einnahmen für den Lebensraumerhalt der Waldtiere einzusetzen. Dazu gehören dann auch einzelne Schutzmaßnahmen, der Verzicht auf höchsten Ertrag an jeder Stelle und die gezielte Ausbringung von Äsungspflanzen. Die Jäger haben dabei auch ihren Anteil zu erbringen. Diese Auffassung hat sich bisher nur teilweise durchsetzen können, geht der wirtschaftende Mensch doch zunächst immer noch davon aus, dass die ihm „untergeordnete Natur“ seinen Ansprüchen dienen muss.

Schließlich wird der Konflikt zwischen Waldbesitzern und Jägern aber auch von vielen anderen Aktivitäten des Menschen im Wald überlagert. Dazu gehören Sport, Tourismus und Erholungssuchende. Wie sehr diese Störungen auf die Nahrungsaufnahme des Schalenwildes einwirken, ist nur zum Teil zu erfassen. Der Großteil des Schalenwildes ist als Wiederkäuer auf geregelte Phasen der Aufnahme von Nahrung und ihrer Aufbereitung im Körper angewiesen. Deshalb muss auch hier eingesehen werden, dass die Gesellschaft insgesamt neben den Waldbesitzern und Jägern die Lebensansprüche der Wildtiere in einem ausreichenden und nicht nur minimalen Umfang zu respektieren hat. Dazu sind Kompromisse von allen Beteiligten nötig: Beispiele seien der Verzicht auf die störende Nutzung der Wälder durch Erholungssuchende zur Nachtzeit oder auf das überbordende Laufen lassen von Hunden im Wald.
Wenn aber die Kulturlandschaft so ist wie sie nun ist, dann sind die Regulierungsmechanismen zwischen Pflanzenfressern auf der einen Seite und dem Raubwild und Jägern auf der anderen Seite so gestört, dass auch Verluste in der Vielfalt der Wälder entstehen können – die Biodiversität leidet. Eine besondere Rolle spielt hierbei ein Zuviel an Rehwild, welches selektiv in die Verjüngung eines Waldes eingreifen kann und das Aufkommen von Baumarten wie zum Beispiel der Eiche schlicht mit seinem Äser unterdrückt. Die Betrachtung geht also über die wirtschaftliche Dimension hinaus und hat auch eine ökologische Relevanz. Eine Entmischung der Wälder ist dringend zu vermeiden. Für das Rotwild ergibt sich die Notwendigkeit, eine wechselnde und ausreichende Raumnutzung sicherzustellen. Rotwild gehört zu den wandernden Wildarten, die die Deckungsmöglichkeit in dem einen Raum mit den Äsungsangeboten anderer Räume verbinden müssen. Beispielhaft sind die dem Rotwild durch Nutzung und Bebauung entzogenen Auengebiete, in das es gewöhnlich zur Winterszeit zu ziehen pflegte und dort auch überleben konnte, ohne forstwirtschaftliche Schäden anzurichten.

Problematisch ist die Sichtweise mancher Waldbesitzer und Jäger, eine bestimmte Wilddichte würde Schäden in jedem Fall vermeiden. Jedoch können tragbare Wilddichten immer nur am Lebensraumpotential ausgerichtet werden. Bei äsungsarmen Fichtenwäldern auf großer Fläche und vielleicht noch klimatisch kalten und dunklen, die Vielfalt der Bodenpflanzen eindämmenden Nordlagen können auch wenige Tiere große Schäden an der Verjüngung anderer Pflanzenarten ausrichten. Die Biokapazität ist also sehr verschieden und vom Jäger bei der Jagdausübung zu beachten.
Interessant ist die Feststellung, dass die Jagd zwar der Regulierung der Wildbestände dienen soll, sie selbst aber auch Wildschäden erhöhen kann. Werden an Feld-Wald-Grenzen Daueransitze durchgeführt, wird ein Nutzen der Feldflur als Äsungsraum sehr erschwert. Folglich vermehren sich Verbiss und Schälen im Wald. Auch überhöhter Jagddruck im Wald selbst schränkt die Lebensräume des Wildes ein und belastet die Einstandsgebiete.
In ähnlich negativer Weise wirkt sich das ständige Verbreiten menschlicher Witterung durch die Waldbesucher aus. Wildtiere müssen dann sehr viel mehr Zeit für die eigene Sicherung aufbringen, Zeit, die einer raumverteilten Äsungsaufnahme fehlt.
Im Wald-Wild-Konflikt wird auch ständig über die Frage der Fütterung gestritten. Ist z.B. der Anbau früchtetragender Bäume wie Wildobst und Kastanien entlang von Wegen oder am Rand von Wildwiesen noch allgemein akzeptiert, wird die Winterfütterung in Frage gestellt. Das diese aber – richtig betrieben – Wildschäden gerade in Hochlagen vermeidet, muss als nachgewiesen gelten.
Schließlich sollte man in der Diskussion auch eine geschichtliche Bewertung vornehmen. Während in der Nachkriegszeit Aufforstungen im Mittelpunkt standen, die diskussionslos von technischem Pflanzenschutz wie Zäunen, Drahthosen, chemischen Vergällungsmitteln oder Rindenhobeln begleitet waren, stellt sich die heutige Forstwirtschaft auf den Standpunkt, dass durch natürliche Verjüngung und Anreicherung eine naturnahe Bewirtschaftung ohne Schutz vor Wildschäden möglich sein muss. Das ökologische Jagdgesetz NRW fordert daher im § 1, „den Wildbestand so zu bewirtschaften, dass das Ziel, artenreiche, sich verjüngende Wälder ermöglicht wird“. Folgerichtig werden Verbissentwicklungen in einem Monitoring je Revier festgehalten. Waldbesitzer und Jäger sollten darüber hinaus durch gemeinschaftlich errichtete Kleinabzäunungen (Weisergatter) Erfahrungen über die Verjüngung ohne den Einfluss des Äsers sammeln.

Fazit dürfte sein: gelingt es, eine naturnahe oder naturgemäße Forstwirtschaft flächendeckend zu installieren, profitieren Wald und Wild. Den Weg dorthin muss ein gemeinsames Engagement von Waldbesitzern, Jägern und Gesellschaft in Sachen Wildschadensvermeidung sichern. Auf Seiten der Jagd sind neue Wege zu beschreiten wie Schwerpunktjagd dort, wo vermehrt verjüngt wird, Bewegungsjagden immer dann, wenn mit wenig zeitlicher Störung ein Optimum an Strecke möglich wird und Intervalljagd als Zugeständnis an das Wild, größere Ruhephasen zu nutzen.
Die naturnahe Forstwirtschaft hat in Alfred Möller schon in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts einen heftigen Verfechter gefunden, der biologische Gesetzmäßigkeiten in seinen Dauerwaldgedanken einbrachte und einen weiteren Verfechter in Hermann Krutzsch fand. Beide sollen in Zitaten zum Wald-Wild-Konflikt und den Grundlagen der naturgemäßen Forstwirtschaft gehört werden. Obwohl die Dauerwaldbewegung vor 100 Jahren ihren Ausgang nahm, sind bis heute noch andere, schlagweise Verfahren bis hin zu größeren Kahlschlägen üblich, die ihre Ursache in kleinbetrieblichen Strukturen oder zeitnahen Gewinnen haben. Häufig sind derartige Eingriffe nach Stürmen unvermeidlich. Auch ist es keineswegs das Ziel des Dauerwaldes oder einer naturgemäßen Waldwirtschaft, Prozessschutz zu installieren. Im Gegenteil geht gerade die Dauerwaldwirtschaft von permanenten Baumentnahmen – entweder einzeln oder in Gruppen – aus. Kahlschläge sind allerdings untersagt. Dauerwald garantiert in idealer Form die Vielfalt natürlicher Wirkungsmechanismen mit hoher nachhaltiger Nutzung von Holz und den Erhalt der übrigen Wohlfahrtswirkungen des Waldes. Diese Chance zur Nachhaltigkeit ist eigentlich ohne Alternative. Ihre Implementierung ist allerdings anders als von Krutzsch erwartet nicht in 50 Jahren, sondern eher in 100 Jahren oder darüber hinaus möglich.
Die Jägerseite soll Friedrich Karl von Eggeling vertreten, der in unserem Jahrhundert einen eigenen Forst bewirtschaftet und gleichzeitig ein großes Herz für Wild und Wald zeigt. Die Zitate sind bewusst in eine solche Reihe gesetzt worden, dass sie einem Dialog nahe kommen.

Die gezeigten Bilder sind Dokumente der Schönheit und Realität des Wald- und Wild-Wesens, gleichzeitig spiegeln sie das Gesagte wider.
Als weiterer fachlicher Einstieg wird eine Veröffentlichung der Forschungsstelle für Jagdkunde und Wildschadensverhütung des Landes NRW empfohlen. Dr. Michael Petrak hat 2012 darin die Verhütung von Wildschäden im Walde als Aufgabe für Waldbesitzer, Forstleute und Jäger beschrieben ( ISSN 1864 9394 ).








Ist einmal das gesunde Waldwesen in erwünschter Mannigfaltigkeit seiner Arten vorhanden, so ist natürliche Verjüngung nichts weiter als eine Lebensäußerung des Waldes, und künstliche Kultur kommt gar nicht mehr in Frage.









Literatur:
- Alfred Möller Der Dauerwaldgedanke Berlin 1922
- Alfred Möller Kiefern-Dauerwaldwirtschaft Zeitschrift für Forst- und Jagdwesen 1920
- Hermann Krutzsch Waldaufbau Berlin 1952
- Friedrich Karl von Eggeling Horscha Wien 2013
- Friedrich Karl von Eggeling Wie es Diana gefällt Hamburg, Berlin 1978
Text: Dr. Norbert Möhlenbruch Bilder: Dr. Hanns Noppeney